Die Dialektik der Freiheit
Wenn die Freiheit also unser höchstes Gut ist und wir nicht auf sie verzichten können ohne unser Dasein als Mensch aufzugeben, wie gehen wir dann mit ihr um? Freiheit bedeutet auch Gefahr.
Das ist die verwirrende Ambivalenz, die der Freiheit innewohnt. Wenn wir die Freiheit nicht beschneiden können, ohne sie zu verlieren, aber als Menschen auch nicht ohne Vertrag leben können, der das Recht des Stärkeren in seine Schranken weist und Willkür und Selbstjustiz verhindert, was können wir dann also tun, um dieses Paradoxon der Freiheit zu lösen?
Seit Aristoteles gibt es dazu eine rationale, wissenschaftliche Methode, um als Menschheit weder in Unmündigkeit noch in Willkür zu leben. Die Ethik. Im Gegensatz zur Moral, die ihre eigene Negation ist und als Unmoral den Zustand des Anderen, Verachtenswerten beschreibt, ist Ethik die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen.
Schon die vorsokratischen Sophisten sahen es als untragbar an, dass der Mensch als Vernunftwesen und mit freiem Willen ausgestattet, sich lediglich von Traditionen, Konventionen und Regelwerken leiten lässt.
Aristoteles erhebt dies in den Stand einer Wissenschaft, die uns erlaubt, rational, empirisch einen Gesellschaftsvertrag zu entwickeln und immer wieder zu verhandeln. Die Ethik setzt den Menschen als grundsätzlich vernunftbegabt und reflexionsfähig voraus. Wäre er das nicht, hätte er nie den Bereich der naiven Sensualität und Mystik verlassen können und wäre, wie ein Tier, lediglich seinen Trieben und Instinkten ausgeliefert.
Die Basis der Ethik bildet die Tugend. Im Gegensatz zu den Behauptungen in Offenbarungen und in Despotien gibt es keine transzendenten, vor der menschlichen Vernunft festgelegten Regeln. Moses 10 Gebote widersprechen jeder Wissenschaft und sind unethisch. Nicht im Inhalt, denn den gilt es zu verhandeln, sondern in ihrer gottgegebenen Unumstößlichkeit.
Die Verfassungen, die wir heute als Grundlage einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft erwarten, sind alle nicht von Gottes Gnaden oder durch den Geistesblitz eines einzelnen Menschen entstanden. Sondern in einem historischen Prozess erkämpft und verhandelt worden. Unser Zusammenleben ist ein Resultat dieses ethischen Prozesses.
Doch was bedeutet das für eine im Umbruch begriffene, globalisierte, digitalisierte Welt. Eine Welt, in der Nationalstaaten keine Rolle mehr spielen (auch wenn sich alle panisch daran klammern), in der Sprachbarrieren wegfallen und eine permanente Echtzeitkommunikation stattfindet?
Was man klar sagen kann ist, dass sich eine radikale Änderung vollzieht. Dass die alten Regeln, Gesetze und Verfassungen, dass der alte Gesellschaftsvertrag neu verhandelt werden muss. Ethik ist also die Wissenschaft der Stunde!
Bereits die Marxisten im 19. Jahrhundert haben versucht, eine Weltethik zu erschaffen. Sie nannten das Internationalismus, ein Wort, was Nationalismus schon im Namen trägt. Die Situation im 21. Jahrhundert ist eine andere, willkürliche Grenzen lösen sich auf, eine echte Weltgemeinschaft entsteht.
Und um das zu meistern, um eine Weltethik zu entwickeln, benötigen wir Werkzeuge, die uns das ermöglichen. Diese müssen, ganz im marxschen Sinne, Werkzeuge der Selbstermächtigung sein. Digitale Strukturen dürfen nicht in den Händen Einzelner oder Firmen oder Nationen liegen. Die Struktur muss frei sein.
Dass eine ethische Grundlage der Digitalisierung geschaffen werden muss, war klugen, vernunftbegabten Menschen schon von Anfang an klar. Die Basis des Informationszeitalters und des digitalen Wandels beruht auf Software. Neben den heute noch dominierenden proprietären Systemen und Programmen entstand schon früh die Open-Source-Software. Eine Software, die niemandem gehört, die von allen weiter entwickelt werden kann und die die volle Freiheit garantiert und perfekt geeignet ist als ethisches Werkzeug einer neuen Gesellschaft.
Open-Source-Software ist also kein technisches Phänomen, sondern ein ethisch, politisches. Eine Struktur für unsere Zukunft.