Forken der Ethik
Wie wäre nun in einer quelloffenen, digitalen Welt eine ethische und damit wissenschaftliche Neuverhandlung eines (Welt)Gesellschaftsvertrages denkbar?
Die Dialektik lehrt uns, dass es nicht die eine transzendente Wahrheit a priori gibt. Eine Zivilisation und die einzelnen Individuen sind geprägt von Ambivalenzen und sich widerstrebenden Erfahrungen, Voraussetzungen und Kausalitäten. Sie sind geprägt von Wahrheiten, die sich gegenseitig ausschließen. Um dieses Paradoxon zu lösen, hat die Menschheit in der klassischen Antike, wie oben gezeigt, die Ethik als ein rationales Instrument geschaffen, um diese Widersprüche immer wieder zu verhandeln.
In der quelloffen Softwareentwicklung (und nur da) gibt es einen Prozess des forkens. Einen Fork erstellen bedeutet eine Abspaltung eines Programmes zu machen. Ein an sich simpler und langweiliger Prozess in der Versionskontrolle, der sicherstellen soll, dass an einem identischen Grundprogramm in verschiedene, unabhängige Richtungen weiter gearbeitet werden kann.
So ist es jedem Menschen völlig frei möglich, ein beliebiges Open-Source-Programm zu kopieren und nach eigenem Vermögen und Interessen weiterzuentwickeln. Durch den sogenannten Fork kann man nicht nur das Wissen nutzen, was bis dahin in das Originalprogramm eingeflossen ist, sondern auch zukünftige Änderungen und Verbesserungen des Originalprogramms in sein eigenes Projekt übernehmen. Auch entsteht ein Rückkopplungsprozess, der wiederum Innovationen der Abspaltungen in das Ursprungsprogramm integrieren kann.
So wäre es denkbar, dass ein Programm zur Steuerung von Glühbirnen in einer Abspaltung zur Ansteuerung von Elektromotoren dient und Forks dieses Programmes könnten wiederum in der Robotik oder bei dem Betrieb von Staudämmen eingesetzt werden usw.
Dieser auf den ersten Blick technische Vorgang ist bei genauerer Betrachtung eine äußerst komplexe und als Prozess höchst effektive Art der Kommunikation. Eine Art Kommunikation, die im historischen Ablauf der Menschheitsgeschichte eine immense Rolle spielt und durch die Digitalisierung und die Erkenntnisse im Umgang mit den offenen Quellen enorme Kraft besitzt.
So ist das Prinzip des Forks aus der quelloffene Softwareentwicklung ein effizientes, dokumentierendes und wissenschaftliches Instrument zur Abbildung dieses Kommunikationsprozesses. Verbunden mit der Digitalisierung findet diese Kommunikation in Echtzeit statt und ermöglicht so eine permanente Neuverhandlung, Änderung und Neuanpassung ohne auf die etablierten und bereits verhandelten Merkmale zu verzichten.
Um dieses mächtige Instrument zur Verhandlung einer zukünftigen Ethik zu etablieren, bedarf es einer Struktur, die vollkommen frei ist. Nimmt man die Dialektik ernst, ist es unmöglich, einen solchen Prozess widerspruchsfrei und ohne Konflikte auszuführen. Auch Fehleinschätzungen und Irrwege sind Teil der menschlichen Natur. Fehler und Konflikte müssen also möglich und akzeptiert sein, ohne dabei das eigentliche Verfahren zu gefährden.
Mit den oben erwähnten Grundsätzen der Open-Source-Bewegung und dem Instrument der Forks und Abspaltungen im digitalen Raum stehen uns bereits mächtige Werkzeuge zur Verfügung, um diese Verhandlung der Ethik zu meistern.